Beitragsbild Foto Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Sven Knoll
„Ich hoffe, dass Süd-Tirol in fünf Jahren einen großen Schritt in Richtung Unabhängigkeit gemacht hat.“
Seit 2008 vertritt Sven Knoll die Süd-Tiroler Freiheit als Abgeordneter im Süd-Tiroler Landtag in Bozen. Bei den vergangenen Landtagswahlen vom 22.10.2023 stellte die Süd-Tiroler Freiheit mit Sven Knoll das erste Mal in der Geschichte Süd-Tirols einen Landeshauptmann-Kandidaten, der nicht der SVP (Südtiroler Volkspartei) angehört. Die Süd-Tiroler Freiheit erzielte dabei ein überraschend gutes Ergebnis von 10,9 % der Stimmen und stellt seitdem 4 von insgesamt 35 Mandaten im Süd-Tiroler Landtag. Mit 25.290 Vorzugsstimmen erreichte Sven Knoll ein sensationell gutes Ergebnis. Wo er Süd-Tirol idealerweise in fünf Jahren sieht, für wie gefährlich er die politischen Entwicklungen seit Giorgia Meloni in Italien in Bezug auf Süd-Tirol hält und weitere interessante Antworten gibt er den Lesern hier auf my-politics-blog.com im Interview:
Wie würdest du einem Leser außerhalb Süd-Tirols die Ziele und Ideale der Süd-Tiroler Freiheit beschreiben?
Die Bewegung Süd-Tiroler Freiheit setzt sich konsequent für die Selbstbestimmung Süd-Tirols und die Volksgruppenrechte der Süd-Tiroler ein. Unser Ziel ist es, das Recht der Süd-Tiroler Bevölkerung auf eine freie und demokratische Volksabstimmung durchzusetzen, um uns von Italien unabhängig zu machen und eine Wiedervereinigung mit Nord- und Ost-Tirol zu ermöglichen. Süd-Tirol wurde 1920 gegen den Willen der Bevölkerung von Österreich getrennt und Italien zugeschlagen, was uns über Nacht zu einer Minderheit im eigenen Land gemacht hat. Der Wunsch der Süd-Tiroler Freiheit ist es, dass die Bevölkerung endlich darüber entscheiden kann, ob sie zu Österreich zurückkehren oder eine eigene, unabhängige Region werden möchte. Die kulturelle, sprachliche und historische Verbindung zum restlichen Tirol ist tief verwurzelt und prägt unsere Identität. Süd-Tirol ist keine italienische Region, sondern Teil des historischen Tirols.
Wo siehst du persönlich Süd-Tirol idealerweise in fünf Jahren?
Ich hoffe, dass Süd-Tirol in fünf Jahren einen großen Schritt in Richtung Unabhängigkeit gemacht hat. Idealerweise haben wir bis dahin ein Selbstbestimmungsreferendum durchgeführt, ähnlich wie in Schottland, wo die Menschen die Möglichkeit hatten, über ihre Zukunft abzustimmen. Es ist wichtig, dass unsere tirolisch/österreichische Identität sowie unsere deutsche und ladinische Sprache geschützt werden. Wir müssen uns gegenüber Rom durchsetzen und dürfen uns nicht länger von einer italienischen Zentralregierung bevormunden lassen. Ein wesentlicher Beitrag dafür ist die doppelte Staatsbürgerschaft, das heißt, dass die Süd-Tiroler ― auf freiwilligen Antrag ― ihre österreichische Staatsbürgerschaft (als zweite Staatsbürgerschaft) zurückbekommen.
Wie würdest du einem Leser in Deutschland die faschistischen Relikte und die Ortsnamensfrage in Süd-Tirol erklären?
Süd-Tirol ist bis heute mit faschistischen Relikten konfrontiert, die als Symbole der Repression und der Unterdrückung unserer Volksgruppe durch den italienischen Staat stehen. Als Italien in den 1920er Jahren unter Mussolini Süd-Tirol faschistisch geprägt hat, wurden Denkmäler, Straßennamen und vor allem die italienischen Ortsnamen zwangsweise eingeführt, um eine italienische Identität über die bestehende Tiroler Kultur zu stülpen. Die faschistische Regierung schuf für alle Orte, ja bis auf den letzten Berggipfel hinauf, größtenteils erfundene italienische Namen, die bis heute auf vielen offiziellen Schildern und in Dokumenten verwendet werden. Diese Namen sind ein Kulturverbrechen, und lebendiges Zeugnis des Versuchs einer kulturellen Säuberung, welche das Ziel hatte, unsere Sprache und Identität in Süd-Tirol auszulöschen. Die Süd-Tiroler Freiheit kämpft dafür, dass die historischen deutschen und ladinischen Namen beibehalten werden und dass die faschistischen Denkmäler, wie das Siegesdenkmal oder das Mussolini-Relief in Bozen, nicht mehr als Symbole italienischer Machtansprüche bestehen bleiben.
Wie schätzt du die politischen Entwicklungen in Italien seit Giorgia Meloni in Bezug auf Süd-Tirol ein?
Die Wahl von Giorgia Meloni und der Fratelli d’Italia ist eine Rückkehr zu nationalistischen und ― in Teilen ―neofaschistischen Ideologien, die in Italien nie ganz verschwunden sind. Diese politische Entwicklung ist alarmierend für Süd-Tirol, da Meloni und ihre Partei die Autonomierechte der Regionen infrage stellen und eine stärkere Zentralisierung fordern. Die Gefahr besteht, dass sie die Autonomie Süd-Tirols einschränken oder gar aufheben könnten, um italienische Interessen stärker durchzusetzen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Süd-Tirol durch eine solche Politik wieder mehr Druck aus Rom spüren wird, und daher ist es umso wichtiger, dass wir jetzt für unsere Rechte und die Selbstbestimmung kämpfen. Nur durch eine klare Positionierung und einen unabhängigen Status können wir sicherstellen, dass unsere kulturelle und sprachliche Identität langfristig geschützt bleibt.
Wie stehst du persönlich zu einer Gay Pride Parade in Süd-Tirol, z. B. in Meran oder Bozen? Was könnte man tun, um einen solchen CSD „tirolerischer“ zu machen?
Die Süd-Tiroler Freiheit steht für das Selbstbestimmungsrecht und somit auch für die persönliche Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen. Derartige Veranstaltungen finden im kleineren Rahmen bereits in Süd-Tirol statt, nehmen dabei aber keinerlei Rücksicht auf die kulturellen Besonderheiten unseres Landes. Dementsprechend ist die Identifikation hierzulande auch gering. In unserer politischen Bewegung gibt es einige Mitglieder und Funktionäre, die offen zu ihrer Homosexualität stehen, die aber selbst mit derartigen Veranstaltungen keine besondere Freude haben, da dabei oftmals ein Bild von Homosexualität vermittelt wird, das lediglich Vorurteile und Stereotype bedient, mit dem sie sich nicht identifizieren können und das auch nicht ihrer Lebensrealität entspricht. Homosexualität bedeutet in erster Linie die Beziehung und Liebe zwischen zwei Menschen und nicht ein möglichst „schrilles“ auftreten. Diese berechtigten Einwände der Betroffenen gilt es ebenso zu berücksichtigen.
Im Buch „Sezessionen“ beschreibt der Autor Martin Grosch die Ukraine und ihren Kampf gegen Russland. Vielleicht magst du den ukrainischen Lesern kurz erklären, worum es dabei gegangen ist?
Wir haben die Ukraine als Beispiel gewählt, weil es zeigt, wie ein Volk seine Identität und Unabhängigkeit verteidigt, wenn es bedroht wird. Die Ukraine steht seit dem Angriff Russlands vor der existenziellen Frage, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Es gibt aber auch in der Ukraine ungelöste Minderheitenkonflikte, die nie einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt wurden.
Süd-Tirol hat selbst eine Geschichte der Unterdrückung und Fremdherrschaft, und daher sind wir uns bewusst, wie wichtig es ist, für die eigene Identität einzustehen. Als Süd-Tiroler Freiheit sind wir der festen Überzeugung, dass ethnische Konflikte und strittige Territorialfragen nicht durch die Macht der Waffe gelöst werden dürfen, sondern nur durch den Bleistift in der Wahlkabine. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass derartige Abstimmung frei und demokratisch ablaufen.
My-politics-blog.com bedankt sich bei Sven Knoll ganz herzlich für das Interview